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Fritz Graßhoff
In einer hohlen Rübe
In einer hohlen Rübe will ich wohnen
bei Wurm und Engerling im Wurzelhaus.
Mich ekelt diese Welt. In allen Zonen
mag nicht der Mensch den Menschenbruder schonen,
er schlägt ihn tot und nimmt den Leichnam aus.
Die Wurzel wär’ ein friedliches Gemäuer,
das seinem Häusling Bett und Brot verspricht.
Karrt auch der Herbst die Rüben in die Scheuer,
erfüllte sich mein Sinn im Wiederkäuer –
es trüg’ der Tod ein mildes Tiergesicht.
Der Mensch jagt Menschenwild und lässt es fronen.
Der Sklavenhändler stellt die Ware aus,
und man verhökert Menschen wie Melonen.
In einer hohlen Rübe will ich wohnen,
bei Wurm und Engerling im Wurzelhaus.
(Fritz Graßhoff schrieb dieses Gedicht in den letzten
Kriegswochen 1945; ca. 50 Jahre später entstand in Kanada „Gefüllter Fisch“.)
Gefüllter Fisch
Wenn im Winter
das Eis ein Auto trägt
karren sie die bunten
Fischerbuden auf den Fluss
hocken sie darin
bei Rockmusik und Whisky
vor den schwarzen Wasserlöchern
ziehen aus der Tiefe sie
den gefüllten Fisch
ihren Sterbefisch
wie er oberhalb des Flusses
angerichtet wird
nach Rezepten
der Wissenschaft
in den hell erleuchteten Fabriken
(Muschelhaufen 2004) © Roswitha Graßhoff
Graßhoffs letztes Gedicht, ein Abschiedsgruß an
seine Freunde:
Endgedicht
Eben war es doch noch hell
Tanzten wir nicht eben noch
uns erkennend unterm Fliegenfänger
ums Geselchte?
Lasen wir nicht eben noch
uns die Zeit von Bart und Wimper?
Stritten wir nicht eben noch
uns um Mohn und Rübsen
das Loch im Faß
den Sprung im Krug
die Borste im Brot?
Wo ist das Gespräch des Flusses
mit den lauschenden Muscheln?
Eben war doch noch Gesang und Atem
im geduldigen Gras
und das Läuten über uns
der Aeroplane
Eben wollten wir uns noch
neue Kleider machen neue Hüte
Recht behalten hat
die Posaune in den U-Bahnschächten
und es erfüllen sich
die Gebete der Viren
(Muschelhaufen 1998) © Roswitha Graßhoff
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