Fritz Graßhoff

Schnecken



Die Hausschnecke begegnete der Nacktschnecke.
   „Wie geht's?“
   „Gut,“ sagte die Nacktschnecke, „mein Typ ist gefragt, ich habe schön zu tun!“
   „Was denn?“ wollte die Hausschnecke wissen.
   „Striptease. Und wie geht es dir?“
   „Schlecht“, sagte die Hausschnecke, „komme immer zu spät, immer war schon wer da und hat abgekocht.“
   „Time is money“ erwiderte die Nacktschnecke und wackelte nervös mit ihrer Kehrseite.
   „Hab ich schon mal gehört“, sagte die Hausschnecke, „aber ich kann kein Englisch.“
   „Du bist eben von gestern“, meinte die Nacktschnecke, „und viel zu langsam, meine Liebe.“
   „Leider“, seufzte die Hausschnecke, „aber ich kann nicht schneller.“

   „Du musst dich umstellen“, sagte die Nacktschnecke, „wie ich das gemacht habe.“
   Wie sie es denn gemacht habe? Sich einen Freund angeschafft, der sie führe, wo sie hinmüsse.
Von ihren Freunden, entgegnete die Hausschnecke, führe keiner, die kröchen auch alle.
   „Dann kauf dir’n Auto“, riet die Nacktschnecke.
   „Das sei ein Gedanke“, sagte die Hausschnecke, „aber wovon?“
Die Nacktschnecke wusste wie. „Verkauf dein Haus, dann hast du Piepen.“
   Darauf wäre sie noch nie gekommen, meinte die Hausschnecke, aber wie das anstellen? Sie sei so völlig unerfahren in dergleichen Geschäften.
   „Geh zu Molch“, sagte die Nacktschnecke, „der ist Makler, der besorgt das für dich.“
   Die Hausschnecke suchte diesen noch gleichen Tages auf. Molch saß in seiner Zahlenpinte beim Glas Profit und wusste schon Bescheid. Er verkaufte dann auch Schneckes Haus, sehr günstig, wie schriftlich mitgeteilt wurde, an die Ameisen, die eine Kinderbewahranstalt darin einrichten wollten, und der Betrag stünde zu ihrer Verfügung, aber selbstverständlich erst, wenn sie ausgezogen sei, und das habe vertrags-gemäß bis zum Soundsovielten zu erfolgen. Hochachtungsvoll! Molch & Co.
   Die Schnecke gab sich alle Mühe, auszuziehen bis zum Soundsovielten. Sie wollte. Aber es ging nicht. Da kam der Räumungsbefehl. Und als die Frist abgelaufen war, und sie immer noch im Hause steckte, die Zwangsausweisung. Und die überstand sie nicht.

Moral: Verkaufe nicht, woran du hängst, und schon gar nicht an die Ameisen.
 

In Deutschland nicht erschienen. Aus: „Les animaux en pantalons / Tiere in Hosen“, Fabeln (französisch / deutsch), 1991 in 150 Exemplaren in einer handgebundenen Ausgabe gedruckt von der Handpresse Atelier Gilles Bédard, Montréal (Canada), mit Zeichnungen von Fritz Graßhoff . © Roswitha Graßhoff
 

   

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